LSD an der Isar

29 Kilometer erscheinen auf den ersten Blick betrachtet vielleicht viel. Im Marathontraining ist es erst der Anfang. So als fleißig Trainierender hat man manchmal das Problem, Reisen und Training unter einen Hut zu bringen. Die Taufe der Nichte muss also mit 29 Kilometern LSD in Einklang gebracht werden. Das geht meistens gut. Auch wenn es fast immer zusätzlichen Stress bedeutet, in unbekanntem Terrain 29 km zu finden. Flüsse sind da oft eine gute Wahl, denn wo es flussaufwärts geht, geht es auch wieder flussabwärts. Der Abwechslung wegen auch gern am anderen Ufer. Allerdings bin ich als Nicht-Triathlet auf Brücken angewiesen. Die gibt es aber nicht wie Sand am Meer sondern eben wie Brücken am Fluss und können die geplante Strecke deutlich verlängern.

Die Verlängerung der Strecke blieb gestern aus, die reichen Isarstädter bauen genug Brücken. Außerdem war ich da schonmal unterwegs. Schön dort und alle sind so freundlich. Ordentlich angezogen. Gewaschen. Duftend. Ich frage mich, ob sie vor und nach der sportlichen Betätigung duschen. Bei Frauen scheint es auch üblich zu sein, sich vor dem Sport zu schminken. In München. Vielleicht hat meine Wahrnehmung aber auch mit dem LSD auf nüchternen Magen zu tun.

Also. Früh aufstehen, drei Gläschen Wasser und los. Bloß keine Kohlenhydrate. Am Abend vorher noch schön Fettkruste vom zarten Schweinsbraten genascht, viel zu viel Zucker nachmittags und auch leider vom guten Wein nicht gelassen. Auch bin ich vorwiegend rumgestanden. Nachts konnte nicht das ganze Zellwasser zurückgepresst werden. Das macht sich in zunächst etwas schwerfälligen Schritten bemerkbar. Das ist aber noch gar nichts im Vergleich zu der Schwerfälligkeit am Ende, wenn ich zu 100% „auf Fett“ laufen werde. So bis Kilometer 14 geht alles wie von selbst. Die Psyche läuft mal wieder mit, dieses Mal ist es so, dass ich mich ja auf 28 Kilometer eingestellt habe, deswegen ist bei 14 Bergfest und da suggeriert mir mein Hirn: „Hälfte vorbei, das geht doch.“

Warum nur keine Kohlenhydrate? Bis Kilometer 14 habe ich noch reichlich in den Speichern. Leber und Muskeln speichern ja welche. Doch nach so einer Stunde ungefähr verlangsamen sich meine Schritte oder zumindest fühlt es sich so an. Es bedarf viel mehr Anstrengung, das Tempo aufrecht zu erhalten. Doch glücklicherweise gibt es Richtung Münchner Innenstadt einiges zur Ablenkung. Einen Zoo, geschminkte Powerwalkerinnen  und durchaus pittoreske Flussimpressionen. Nur nicht dem Aua zu viel Aufmerksamkeit schenken. LSD ist super. Man soll ja auch langsam laufen. Es kann also eigentlich auch gar nicht weh tun. Es soll nicht weh tun. Man soll also psychisch optimiert dahingleiten. Die Droge LSD lässt einen schweben.

Die Uhr zeigt mir den Umdrehpunkt, jetzt ist es schon ein Halbmarathon. Geht. Vor allem glücklicherweise aufs Ende zu. Das Wetter ist sensationell, wie der Münchner sagt. Sonnig, kühl und windstill. Ja, Wind kann schon sehr nerven. Als Ersatz für Wind geht es jetzt flussaufwärts. Ganz leicht nur. Flussaufwärts in München ist anders als flussaufwärts in Bern. Dennoch schleichend und deswegen umso bösartiger. Die Kilometer 21 bis 28 sind schlagartig drogenbefreit. Die Realität holt mich ein. Ich will Marmeladebrötchen. Aus Weißmehl. Oder am besten erstmal einen Löffel Zucker oder zwei. Esslöffel. Der Mensch ist doch so gut konstruiert, warum macht man es sich absichtlich schwer? Statt Trinkgürtel mit Batterien von Wasser-Shots könnte ich doch ein paar Tütchen Zucker mitgenommen haben. Aber ich habe ja nichtmal Wasser-Shots dabei.

Es geht darum, ohne Kohlenhydrate zu laufen und auch Wasser ist Luxus, den ich mir nur im Wettkampf gönne. Aber zurück zu den Kohlenhydraten. LSD kann man nüchtern laufen. Ich zwinge meinen Körper, endlich zu lernen, Fett zur Enrgiegewinnung zu nehmen. Kohlenhydrate kann jeder. Fett ist fast unendlich vorhanden, die Verbrennung desselben erfordert halt etwas mehr Mühe. Also streng dich an! Verbrenn Fett, du Körper! Je besser man trainiert ist, desto früher fängt der Körper damit an, Fett als Treibstoff zu nehmen. Er hat gelernt, zu sparen. Manche kluge Menschen sagen, indem man dem Körper zusätzlich durch Nüchternläufe zusetzt, zwänge man ihn auch, den teuersten Treibstoff Eiweiß zu nutzen, der dann dem Immunsystem fehle. Ich denke, bei langsamem Tempo ist das Risiko nicht so groß. Und das Tempo ist zwangsläufig langsam.

Der letzte Anstieg aus dem Isartal ans Isarhochufer ist so steil, dass selbst mit Vollgas nur noch 6:30 min/km möglich ist. Die Atmung ist schnell wenn der Körper Fett verbrennt. Der Kilometer 29 ist ein schleppender Kampf. Es ist flach aber der Kopf und die Beine wollen nur noch am Frühstückstisch sitzen und essen. Es sind nun wirklich auch die letzten Glykogenspeicher im letzten Winkel des sich dahinschleppenden Organismus weg. Wie Vakuumbeutel warten sie auf die explosive Wiederfüllung durch schnell verwertbare Kohlenhydrate. Auch die Größe der Glykogenspeicher kann man trainieren. Angeblich.

Mir ist das egal. Vorbei. Duschen. ESSEN. Schon nach wenigen Minuten Nicht-Laufen ist alles wieder gut. LSD sei Dank. Long – Slow – Distance.

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