Kraftausdauer heißt der magische Begriff dafür, hohe Geschwindigkeit über einen langen Zeitraum aufrecht erhalten zu können. Und 42,195 Kilometer gelten gemeinhin als langer Zeitraum. Natürlich ist der Zeitraum bei höherem Tempo kleiner, deswegen ackert man Kilometer um Kilometer im geplanten Wettkampftempo oder auch mal in etwas schneller als Wettkampftempo und oft auch etwas langsamer, aber immer wesentlich kürzer.
Das Gute an diesen Einheiten ist, dass sie nicht so schnell wie Intervalle sind. Das Schlechte, dass sie meist länger dauern. Eine Kraftausdauereinheit sieht also so aus, dass man sich wie immer in langsamem Tempo einläuft. Ich laufe da lieber noch etwas langsamer, um die Tempoverschärfung so weit wie möglich hinauszuzögern. Man soll sich ja auch gut und langsam aufwärmen, den Bewegungsapparat und den Kreislauf auf die bevorstehende Belastung vorbereiten. Ich nehme das sehr ernst und lasse dem Körper und vor allem dem Geist nach den drei Kilometern im Schneckentempo dann gern noch etwas Zeit, um sich schlussendlich perfekt vorbereitet, mit vor Freude zuckenden Muskeln und frischem Geist in die Schnelligkeit zu werfen. Doch halt! War da nicht noch ein leichter Schmerz in der linken Wade? Ja, genau. Die Wade muss noch genauestens betrachtet werden. Ein bisschen dehnen … Das macht zwar kein Mensch mehr – aus gutem Grund, doch dazu später – vielleicht noch etwas hüpfen und ups, die Straße. Ganz da hinten kommt ja ein Auto. Das muss ich vorbei lassen. Ich kann ja nicht einfach in den Tod rennen. Größte Vorsicht ist geboten beim Überqueren der Straße. Wir erinnern uns, eine Verletzung kann das Aus bedeuten. Also warte ich lieber die 30 Sekunden auf das Auto, das kurz vorher links abbiegt und mir damit deutlich macht, dass es jetzt wirklich los gehen muss mit der Kraftausdauer.
Die tödliche Gefahr abgewendet stürze ich mich in die Geschwindigkeit. Meine Pulsuhr reagiert beim Anzeigen der Geschwindigkeit immer etwas träge. Das ist gut, denn so sehe ich immer einen weichgezeichneten Geschwindigkeitsdurchschnitt. Doch natürlich sollte irgendwann die gewünschte Geschwindigkeit einigermaßen konstant angezeigt werden. Und das kommt mir meist viel zu spät vor. Und wenn ich sie dann erreicht zu haben scheine, kommt sie mir viel zu schnell vor. Habe ich das Ding richtig kalibriert? Es kann doch nicht sein, dass ich nach 3 Minuten Tempo schon in Pulsbereichen bin, die ich tunlichst beim Marathon gar nicht erreichen sollte. Ah, da fällt es mir wieder ein. Ich habe mich ja selbst überlistet und die Uhr beim Kalibrieren etwas nachgestellt. Sie zeigt also einen Hauch weniger an als ich wirklich laufe. Aber so viel weniger? 15 Sekunden pro Kilometer? Nein, sie muss sich von alleine nochmals weiter zurück kalibriert haben. Oder vielleicht ist die Batterie langsam leer. Oder geht es bergauf? Berlin ist ja bekannt für seine legendären Höhenmeter. Man denke nur an den Prenzlauer Berg oder gar den Kreuzberg. Bei den ganzen Gedanken geht die Geschwindigkeit noch etwas runter und der Puls noch etwas rauf. Ich habe bereits die schnelle Atmung, die mich darauf hinweist, dass ich am anaeroben Bereich kratze. Die Kraftausdauer soll aber im aeroben Bereich gelaufen werden, sonst wären es ja harte Tempointervalle, die heute aber gar nicht dran sind.
Nach weiteren Minuten schaue ich auf die Uhr und merke, dass sich an den Parametern nicht viel geändert hat, auch an der Zeit und der Strecke nicht allzu viel. Irgendwann habe ich mir vorgenommen, das Tempo einrasten zu lassen und erst so spät wie möglich, also am besten 250 Meter nach Erreichen der Sollstrecke oder Sollzeit wieder auf die Uhr zu schauen. Aus psychologischen Gründen. Doch das klappt nicht. Okay, dann machen wir es anders: ich schätze immer die schon absolvierte Strecke oder Zeit, runde großzügig ab, schaue drauf und freue mich, dass es schon mehr ist, als gedacht. Das geht ganz gut. Mit dieser Methode überschätze ich mich meist nur leicht. Die dritte Methode ist, Herbert Steffny mental zu folgen. Der sagt, diese Einheiten sollen locker flott gerannt werden. Ich denke also an was ganz anderes und renne nebenher locker flott.
Es ist wie so oft. Oder eigentlich wie immer. Irgendwann ist es vorbei. 12 km im geplanten Marathontempo hört sich so an als ob es ja leicht zu schaffen sein müsste. Ist es eigentlich ja auch. Nur schlägt einem der Kopf da ein Schnippchen. Ich bin ja nur im Training, es ist ja noch nicht ernst, also kann ich ja etwas abschlaffen und außerdem ist das ganze Training ja so wahnsinnig anstrengend, es kann ja nicht immer gut laufen. Schlecht geschlafen habe ich auch und das Glas Wein am Vorabend haut auch rein. Und: Das Intervalltraining vom Dienstag sitzt mir noch in den Knochen. Klar, dass einem da der Freitag wehtut.
Vor allem trainiere ich also meine Psyche. Kraftausdauer heißt: Lang schnell laufen zu können ohne Pause. Es heißt auch, dem Schweinehund zu widerstehen. Der Körper kann das, es tut halt weh und deswegen meint der Schweinehund, er habe Oberwasser. Also Augen auf und durch. Augen auf die Bäume, die Mädels, das Wasser, die Gebäude, die Tiere nur nicht zu oft auf die Uhr. Das ist meist enttäuschend.
[…] daran ist: fertig! Alles davor ist meist grausam. Außer das erste Langsam. Das zögere ich nach bewährter Manier gern so weit wie möglich […]
[…] daran ist: fertig! Alles davor ist meist grausam. Außer das erste Langsam. Das zögere ich nach bewährter Manier gern so weit wie möglich […]