Philipp und ich

Ich könnte das gleiche, wie vor einem Jahr schreiben. Mach ich aber nicht. An der Leistungsgrenze ist die Luft dünn. Es kann viel passieren.

Ich kenne Philipp nicht und er kennt mich nicht, aber wir verstehen uns was gestern betrifft aus tiefstem Herzen. Das Drama um den deutschen Spitzenläufer hat sich 35 Etagen weiter unten wiederholt. Mit einem Unterschied. Ich stehe nicht unter dem Druck, unter dem ein nationaler Spitzensportler wie Philipp steht. Deswegen konnte ich das Rennen bei Kilometer 28 entspannt für beendet erklären und luftig locker ins Ziel joggen. Ja, es blieb mir sogar noch die Energie, vor der Ziellinie stehen zu bleiben und zu versuchen, drei Stunden glatt zu machen. Leider habe ich acht Sekunden zu wenig Geduld gehabt.

Das sind 15 Minuten unter meinem Ziel. Das ist nicht eine Welt, das sind mehrere. Es ist krachendes Scheitern, da beißt die Maus keinen Faden ab.

Ich habe es hinnehmen dürfen und habe das Ziel joggend erreicht. Sogar irgendwie glücklich. Die Beine haben sich nicht bewegt, da half kein neues Setup, keine Gewalt, keine Liebe, kein Helfer an der Strecke. Und ja, ich habe es hinnehmen dürfen. Philipp durfte das nicht, er musste es. Bei Kilometer 39. Er hat sich dorthin kämpfen müssen und ist dann zusammengebrochen. Der Leistungssport ist brutal. Dieser Brutalität kann man sich als nicht im Rampenlicht stehender Sportler gut entziehen.

Lieber Philipp, ich kann mir vorstellen, was für eine unfassbare Enttäuschung, was für einen Schmerz und was für eine Niederlage du gestern erlebt hast. Es helfen keine Worte wie „2:09 für 39 km ist doch eine sensationelle Leistung“. Das ist es zweifelsohne, aber falscher kann eine gutgemeinte Aufmunterung nicht sein. Du bist gescheitert. Dramatisch gescheitert. Vier Monate hast du alles auf diese Karte gesetzt. Und dann das. Persönlich gefühlt geht es schlimmer kaum. Ich umarme dich im Geiste und wünsche dir, dass du aus diesem Tal schnell wieder herauskommst. Du bist ein absoluter Top-Athlet!

Scheitern ist menschlich. Den Umgang mit dem Scheitern muss man üben. Und das kann man eben nur mit Scheitern. Das ist ein zutiefst individueller Vorgang. Außenstehende können da kaum helfen. Selbst Nahestehende sind damit oft überfordert.

Ich wünsche dir, lieber Philipp, dass du mindestens einen Menschen hast, der dich wirklich versteht.

Glücklich hat mich gemacht, dass mich bei Kilometer 39 endlich mein befreundeter Mitläufer überholt hat und dass er sein Ziel perfekt erreicht hat. Glücklich hat mich auch gemacht, dass meine befreundete Mitläuferin trotz Verletzung ihr Ziel sehr gut und gesund erreicht hat. Glücklich hat mich gemacht, dass ich kreislauftechnisch völlig entspannt eine Zeit unter 3 Stunden erreiche. Insofern alles gut.

Fast.

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