Gemeinhin wird gesagt, dass Alternativtraining in der unmittelbaren Vorbereitungsphase eines Wettkampfs zumindest sehr dosiert oder im Notfall, also zum Beispiel bei Verletzungen eingesetzt werden soll, muss oder kann. Je nachdem, wie man es sieht oder braucht. Der Normalbürger denkt verständlicherweise, dass sportliche Betätigung gleich sportliche Betätigung ist. Der etwas erfahrenere Normalbürger differenziert zwischen Ausdauer- und Kraftsport. Und der Normalbürger, der viel Sport macht und viele unterschiedliche Sportarten leistungsorientiert betreibt, weiß, dass jede Sportart unterschiedliche Systeme, unterschiedliche Muskelgruppen und unterschiedliche Gelenke, Sehnen und Gewebe belastet und damit trainiert. „Was, du kriegst noch Muskelkater?“ Ja, kriege ich. Mit links. Und auch rechts. Der Normalbürger hat so viele verschiedene Muskeln, da gibt es immer welche, die selten genutzt werden und die bei gezielter Ansteuerung aus dem Winterschlaf erwachen und die rabiate Enervierung mit einem posttraumatischem Schmerzsyndrom quittieren.
Fahrradfahren ist ein Ausdauersport. Laufen auch. Bis 100m kann man jedoch ohne zu atmen laufen, das ist dann kein Ausdauersport. Kraft braucht man immer. Beim Radeln und Laufen genauso wie beim Reiten, Golf spielen oder beim Auto-Rennsport. Ausdauersport braucht ein bisschen Kraft und Kraftsport sollte von etwas Ausdauer profitieren.
Es gibt natürlich Sportarten, deren Training anderen Sportarten schadet. So wäre ein Läufer schlecht beraten, wenn er in einer Verletzungspause intensives Bodybuilding des Oberkörpers betreiben sollte. Die Zunahme an Muskelmasse und damit an Gewicht der Muskeln, die nicht zur Ausübung der Primärsportart gebraucht werden, ist kontraproduktiv für die Laufentwicklung. Nicht nur dass die Laufmuskeln weniger werden, sondern auch dass die herumzuschleppenden Oberkörpermuskeln mehr werden, ließe einen wie ein Ochse vor dem Berg stehen.
Dieses Phänomen gibt es aber auch bei näher verwandten Sportarten wie Radfahren und Laufen. Beides sind Ausdauersportarten, die hauptsächlich mit den Beinen gemacht werden. Sie erwecken den Eindruck, sich gut zu ergänzen. Dieser Eindruck trügt natürlich nicht. Sie ergänzen sich hervorragend, beugen – gezielt abgewechselt – Verletzungen vor, erfrischen den Geist und nützen sich gegenseitig durch die Arbeit an der Ausdauer des Herz-Kreislauf-Systems. Aber!
Wenn kein Aber wäre, wäre es zu einfach.
Radfahren beansprucht andere Muskeln als Laufen. Radfahren ist ein low-impact-Sport, Laufen ein high-impact-Sport. Beim Laufen muss man immer ackern, es gibt keinen Freilauf. Um auf die gleiche Trainingsbelastung zu kommen, muss man etwa doppelt so lang Fahrradfahren, wie Laufen. Und man kann als Radprofi nach einer lockeren Laufeinheit Muskelkater in den Beinen bekommen und umgekehrt. Ja, man sollte es sogar. Denn wäre es anders, hätte man Muskeln trainiert, die man für die andere Sportart gar nicht braucht. Der aufmerksame Leser fragt jetzt natürlich nach Triathlon, modernem Fünfkampf oder der Königsdisziplin Zehnkampf. Diese Disziplinen sind Fluch und Segen. Der Körper wird an vielen Stellen trainiert und belastet, eine einseitige Belastung wird verhindert, aber gleichzeitig kann das Training in der einen Sportart, die Ausübung der anderen belasten. Die Trainer in diesen Kombinations-Disziplinen müssen sehr erfahren sein und viel, sehr viel wissen. Nicht nur über die einzelnen Sportarten, sondern auch über die Wechselwirkungen der Sportarten untereinander.
Das war die Einleitung. Die eigentliche Geschichte geht so:
Viele, so auch ich, befinden sich in der unmittelbaren Vorbereitungsphase eines großen, eines sehr großen Laufwettkampfes. Und in dieser Vorbereitungsphase ist die Ausübung einer Alternativsportart wie Radfahren nur in Teilen für das Laufen sinnvoll, in anderen Teilen leider hinderlich. 1500 km in 10 Tagen über Stock und Stein, durch Berg und Tal, an Fluss und See ist zwar schön, trainiert das Herz-Kreislaufsystem und erfrischt die Psyche, der täglich wachsende Umfang der Oberschenkel gibt aber Grund zu berechtigter Sorge. Die ersten Laufeinheiten bestätigen die Sorge. Laufen geht schwer, langsam und tut weh. Der Puls dazu in astronomisch tiefen Bereichen suggeriert einen Fitnesslevel, der mit der Laufrealität nichts zu tun hat. Schwere Beine im wahrsten Sinne des Wortes müssen durch eine degenerierte Laufmuskulatur bewegt werden. Das kann nicht funktionieren. Lektion gelernt.
Jetzt sind es noch acht Wochen, in denen die Radmuskulatur verschwinden und die Laufmuskulatur aufgebaut werden muss. Mal sehen, ob die Tempoeinheiten dieses Ziel beschleunigen. Selbstversuch Alternativtraining. Das war so nicht gewollt. Die Radtour war sensationell, Triathlon interessiert mich schon lang, oder zumindest Duathlon. Insofern freue ich mich über diese Hürde. Bestzeit ade? Lockerheit hallo? Ich berichte weiterhin aus dem Rad- und Laufkästchen.