Schulmeister

Ich kann das nicht.

Das hört man so als Trainingsbegleiter gelegentlich. Es klingt natürlich vermessen, als Außenstehender zu sagen, doch, du kannst das. Also muss man das besser verpacken.

Doch wie? Die Trainingseinheiten bauen aufeinander auf und der Trainingszustand des Trainierenden verändert sich. Harte Einheiten bringen einen an den Rand des Wahnsinns, lockere auch, denn sie sind meist nach harten Einheiten als Regenerationseinheiten drin. Also bringt den unerfahrenen Läufer eigentlich das ganze Training an den Rand des Wahnsinns. Die harten Trainigsetappen sind zu hart, zu schnell, zu lang. Und bei den Regenerationseinheiten ist man so müde, dass man auch da nicht seine eigentliche Form sieht. Schrecklich. Der Foltermeister alias Trainer ist schon ein harter Hund. Das macht der mit Absicht. Er demoralisiert den Schüler durch den Tanz auf der tagesaktuellen Leistungsgrenze.

Aber zum Glück sind die meisten Läufer ja nicht unerfahren. Sie wissen, dass es irgendwann auch wieder leichter wird. Dass sie vor einem gut angetaperten Wettkampf vor Kraft nur so strotzen und endlich loslaufen wollen. Die Explosion des Startschusses ist auch die Explosion des Leistungsreservoirs, das wir so mühsam aufgebaut haben.

Doch ist es immer wieder das gleiche. Jeder Sportler, auch die Meister, haben Schwierigkeiten, sich vorzustellen, die trainierte Leistung im Wettkampf tatsächlich zu haben. Wie soll ich das, was mich im Training auf einem Viertel der Distanz so dermaßen anstrengt, auf der vollen Strecke durchhalten? Vielleicht ist es gar nicht vorstellbar und eben nur durch rationale Gedanken und aufgrund der persönlichen Erfahrung in den Geist einzupflanzen.

Training ist Training und Wettkampf ist Wettkampf. So einfach und doch so kompliziert.

„Wie oft muss man denn die Strecke trainieren, um sie laufen zu können?“ Das werde ich immer wieder von Leuten gefragt, die keine Marathon-Erfahrung haben. Die Antwortet lautet: Nie! Das ist genauso schwer zu glauben, wie das Durchhalten des Tempos auf 42,195 Kilometern, das man im Training kaum auf 10 Kilometern zu schaffen glaubt. Nein, man muss keinen Marathon laufen, um Marathon zu trainieren. Wir trainieren Einzelsysteme, die sich im Idealfall am Tag des Wettkamps als ein System zusammengefügt haben. Es ist sogar nicht nur nicht nötig, einen Marathon vor dem Marathon zu laufen, sondern falsch und schädlich. Die Einzelsysteme werden nämlich effektiver als separierte Einheiten trainiert, die Belastung für den Organismus ist erträglich und man baut gezielt die Fähigkeit auf, am Tag X zu explodieren. Aber eben nicht vorher. Keinen Tag vorher und auch keine zwei Stunden vorher. Sondern genau am Tag X, zur Stunde X. Ein bereits vorher gelaufener Marathon belastet das Gesamtsystem so stark, dass man so sehr regenerieren müsste um am Wettkampf antreten zu können, dass durch ebendiese Regeneration der Traingszustand  so abgebaut würde, dass die Wunschzeit unerreichbar wird.

Ich kann das nicht.

Ich kann es nicht mehr hören. Vor allem deswegen nicht, weil ich es mir selbst viel zu oft sage.

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